Camus meint folgendes:
- Die Strafe, die züchtigt, ohne zu verhüten, heißt in der Tat Rache …
- Die Vergeltung gehört in den Bereich der Natur und des Triebs, nicht in den des Gesetzes.
All das hat Frankreich, die Grande Nation, die der Welt die Französische Revolution als epochales Ereignis beschert hat (die Trennlinie zwischen “Früher Neuzeit” und “Neuzeit” ist der 14. Juli 1789, der Sturm auf die Bastille), mit der Todesstrafe in ihrem Strafgesetzbuch.
Jetzt bringt er genau den Gegensatz, den Caesar mit demissi in obscuro, den “Nobodys”, und den praediti magno imperio, das ist im wesentlichen das Imperium romanum, dargelegt hat:
- Wir Franzosen, die wir uns zu Recht empören, wenn der Petroliumkönig von Saudi-Arabien [...] einen Fleischer damit beauftragt, die Hand des Diebes mit dem Messer abzuhauen, leben in dieser Beziehung ebenfalls in einer Art Mittelalter, [...] Wir definieren die Gerechtigkeit noch gemäß den Regeln eines plumpen Einmaleins.
Wenn Caesar also sagt: auf uns blickt die Welt, deshalb: in maxima fortuna minima licentia est, gilt das selbstverständlich auch für Frankreich: wenn die Araber die Todesstrafe anwenden – who cares, die hacken ja auch ihren Dieben die Hände ab, da wundert einen gar nichts. Frankreich dagegen steht für liberté, égalité, fraternité – da ist eine solch alttestamentarische Strafe unerträglich.
Eben das sagt Caesar mit:
—schnipp—
Hoc item vobis providendum est, patres conscripti, ne plus apud vos valeat P. Lentuli et ceterorum scelus quam vostra dignitas, neu magis irae vostrae quam famae consulatis – Ihr müsst darauf achten, Senatoren, dass das Verbrechen der Catilinarier (Lentulus und die anderen) nicht mehr Gewicht besitzt als eure Würde, und ihr euch nicht mehr um euren Zorn (= Affekt) als um euren Ruf kümmert.
—schnapp—
Daran ist bemerkenswert, dass beide den Staat und seine Stellung in der Welt zum Maßstab solcher Fragen machen: Rom mit seiner “Mischverfassung” (remember Polybios) ist wegen dieser Verfassung zu Caesars Zeit der mächtigste Staat der Welt. Frankreich ist der Staat, der jeder Demokratie die Leitwerte vorgegeben und damit den Grundstein für jede Demokratie in Europa gelegt hat. Das sagt Camus nicht laut, aber jeder französiche Leser wird die Stelle so verstehen – ebenso wie jeder Senator praediti magno imperio auf Rom beziehen wird.
Zu diskutieren ist jetzt, ob das als grundsätzliche Argumentation gegen die Todesstrafe taugt, und wenn nicht, wie eine solche denn aussehen müßte.